Alter Hund mit Schlaganfall bzw. Vestibularsyndrom
Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, 12. Juli 2017 um 16:32 Uhr veröffentlicht.Ein Beitrag von Gudrun Beck, Züchterin der Fox Lions Collies
Ich veröffentliche diese Zeilen, um anderen Hundebesitzern Mut zu machen, ihren Hund nach einem Schlaganfall nicht gleich einschläfern zu lassen, sondern ihm die Chance zu geben, sich davon wieder zu erholen.
Als unsere erste Colliehündin Gladess im Alter von 15-einhalb Jahren die Symptome aufwies, ließen wir sie gleich einschläfern. Als wir etliche Jahre später zum zweiten Mal die Symptome sahen, fuhren wir mit Tränen in den Augen, ihr Ende ahnend, unsere damals fast 14-jährige Arabelle in die nächste Tierklinik. Ihr wurde geholfen. Sie lebte noch über ein Jahr mit einem Medikament zur Verbesserung der Durchblutung von Gehirn und Innenohr. Binnen Tagen war sie wieder fast die Alte. Nun also, wieder Jahre später, traf es die 13-jährige Ballota:
Samstag, 1.7.17: Schock am frühen Morgen. Ich kam nichts ahnend zu meinen Hunden runter ins Parterre und fand meine alte Ballota in einem Zustand vor, der das Einschläfern nahelegte. Sie schien panisch, versuchte aufzustehen, strauchelte völlig unkoordiniert, teilweise gelähmt, fiel hin, versuchte es wieder, fiel hin, immer wieder. Ihre Augen schauten hastig von rechts nach links, von rechts nach links, von rechts nach links, immer hin und her in der Frequenz der Scheibenwischer, wenn man mit einem Auto durch Starkregen fährt. Sie schien mich nicht zu hören und nicht zu sehen, alles schien sich vor ihr zu drehen, sie übergab sich vor Schwindel. “Aha, Schlaganfall bzw. Durchblutungsstörung im Innenohr”, diagnostizierte ich mit meinem Reichtum an Erfahrung und bugsierte sie vor die Tür, “Pipi machen!”, was erstaunlicherweise gut funktionierte, obwohl ansonsten ja eigentlich gar nichts mehr zu funktionieren schien.
Gestern Abend war sie noch ein fröhlicher Hund und jetzt das. Gestern Nachmittag zog sie mich fast hinter sich her, als sie auf unserem letzten gemeinsamen Spaziergang auf dem Rückweg einen bestimmten Geruch in die Nase bekam und die Verfolgung aufnahm. Bis dahin bummelte sie mehr hinter als vor mir her, wie es die Art alter Hunde ist. Welchem Tier die Jagd jetzt plötzlich galt, offenbarte sich kurz vor der Ankunft bei uns zuhause: Sie galt der uns gegenüber aggressiven Schäferhündin aus der Nachbarschaft, Lieblingsfeind meiner Hunde. Diese machte kehrt, kam im abgeleinten Zustand einige Meter auf uns zu, blieb dann aber stehen und bellte uns böse an, als ich “hinter mir!” durchsetzte und unsere Leinen kürzer griff. Fünf mal musste Frauchen energisch nach ihr rufen. Die Hündin überlegte offensichtlich, ob sie dem Ruf Folge leisten oder doch lieber uns aufmischen wollte. Sie entschied sich für ihr Frauchen, während Ballota noch einmal kurz böse kläffend an mir vorbei auf sie zu preschte, soweit die Leine reichte. Vielleicht war diese Aufregung der Auslöser für ihren Schlaganfall über Nacht. Vielleicht war es auch einfach dran nach so vielen Jahren mit schweinereichen Metzgereiresten als Nahrungsgrundlage. Zuviel Arachidonsäure, ungesunde Fettsäuren. Man kann sich denken, dass die Arterien sich schneller zusetzen als bei Seefisch-basierter oder zumindest schweinefreier Ernährung zu erwarten gewesen wäre. Vielleicht lag es auch an den Vit. K1-haltigen Löwenzahn- und Brennnessel-Pürrees, die ich in den letzten Tagen großzügig in den Brei mischte. Vielleicht förderten sie die Blutgerinnung zu sehr. Vielleicht liegt auch eine genetische Disposition vor, vielleicht im Zusammenhang mit Degenerativer Myelopathie, von der Gladess, Arabelle und wahrscheinlich auch Ballota betroffen sind bzw. waren, wer weiß, vielleicht… Man kommt ins Grübeln. Andererseits ist ein Hund mit 13 auch schon ein ziemlich alter Hund.
In der Schublade hatte ich noch einen Rest von Arabelles Medikament “Vitofyllin 100 mg”, gerade erst vier Monate hinter dem Haltbarkeitsdatum. Immerhin, immer schön kühl gelagert, könnte es noch helfen. Da es nur mit erheblichem Aufwand und viel Stress für die ohnehin gequält wirkende Ballota möglich gewesen wäre, sie jetzt direkt den Berg hinunter zum Auto zu transportieren und in die nächste Tierklinik zu fahren, entschied ich, es erst einmal mit Arabelles Medikament zu versuchen. Schließlich hatte es ihr auch sehr gut geholfen. In wenigen Tagen war ihr damals fast nichts mehr anzumerken. Ich rechnete aus, dass zu 17,5 kg Ballota eine dreiviertel Tablette jeweils morgens und abends die richtige Dosis sein müsste. Da Ballota kein Futter annahm, öffnete ich ihren Fang und legte das Medikament soweit nach hinten auf ihre Zunge, dass sie es schlucken musste. Meine Beobachtung war, dass sie weder Futter noch Wasser aufnahm. Ich ließ sie erst einmal in Ruhe. Gassigehen funktioniert mit viel Hilfestellung, zumindest Urin ablassen. Sie bleibt stubenrein. Damit hatte Arabelle damals ein zusätzliches Problem. Beim Laufen korrigierte ich einen Drall zur Seite, indem ich genau neben ihr ging und ein Bein an der Seite hielt, nach der sie umfallen würde. Sie brauchte diese Stütze ziemlich oft, alle 2-3 Schritte. Wenn die anderen Hunde mit Gebell ins Freigehege hinaus stürmten, hob sie kurz den Kopf, blieb dann aber im Wohnzimmer liegen. Freigehege? Heute ohne Ballota.
Sonntag, 2.7.17: Ballota wirkte entspannter, schlief jetzt wieder länger am Stück, war nicht mehr so ängstlich, hatte aber noch diese Gleichgewichtsstörung, die sich an der Augenbewegung ablesen ließ. Allmählich wurde die Augenbewegung aber langsamer. Sie lief auch wieder ohne umzufallen mehrere Schritte am Stück ohne Anlehnmöglichkeit. Zur Sicherheit beeilte ich mich aber weiter, möglichst viel direkt neben ihr zu gehen. Urin wurde draußen abgesetzt, Kot gar nicht. Futter und Wasser wurden ignoriert und ausgespuckt, wenn man ihr etwas vorne ins Maul schob. Immerhin erbrach sie nicht mehr. Es ging ihr geringfügig besser als gestern. Wenn ich den Rudelgefährten die Tür zum Freigehege öffnete, so dass sie mit lautem Startgebell hinausstürmten, wollte Ballota mit, brauchte aber unbedingt meine Hilfe, da sie vor Aufregung wieder öfter umfiel. Die Metallgittertreppe hoch zu ihrem Lieblingsplatz unter den Fichten wollte sie auch unbedingt schaffen. Auf der Treppe musste ich sie abschnittsweise fast tragen, hinunter war ähnlich anstrengend. Immerhin schön, wie sie wieder Anteil nahm und geistig wiederkam.
Montag, 3.7.17: Sie war jetzt ganz klar auf dem Weg der Besserung. Ballota schaffte es wieder, die Augen zumindest kurzfristig anzuhalten um einen anzusehen. Die Augenbewegung ließ weiter nach, der Bewegungsablauf wurde flüssiger und sicherer. Sie torkelte etliche Schritte ohne umzufallen, sofern es nicht steil bergauf ging. Sie war ansprechbar.
Da sie vor die Nase gehaltenes Futter und Wasser weiter ignorierte, aber doch zumindest Flüssigkeit dringend brauchte, beschloss ich Zwangsernährung. Vier mal am Tag versuchte ich ihr mit einer stumpfen Spritze in winzigen Einheiten jeweils einen Achtelliter Wasser hinten auf die Zunge zu träufeln, so dass sie schlucken musste ohne sich zu verschlucken. Gar nicht so einfach und langwierig, aber doch wichtig! Ich weichte einen Becher voll Welpen-Trockenfutter, das unser T-Wurf übrig gelassen hatte, in soviel Wasser ein, dass es die Menge so gerade eben aufsaugen konnte. Diese matschigen Pallets legte ich ihr nun auch hinten auf die Zunge. Sie musste sie schlucken. Was zu weit vorne landete, spuckte sie aus. Sie mochte die Prozedur nicht, ließ mich aber machen. Danach Gassigehen wieder mit meiner Hilfe, Anlehnmöglichkeit und häufigem Korrigieren, aber doch schon flotter und etliche -zig Meter weiter als gestern. Sie setzte Kot ab, zum ersten Mal seit Freitag. Die Konsistenz war normal.
Dienstag, 4.7.17: Die Augenbewegung war fast weg. Ballota lief wieder viel sicherer. Auf dem Rückweg vom Gassigehen blieb sie am Wassereimer stehen und probierte, selbständig zu trinken. Ein Riesenfortschritt! Zwangsernährung und Verdauung wie gestern. Oben im Freigehege grub sie sich ihre Lieblings-Liegekuhle im Wurzelbereich einer mittelgroßen Fichte etwas tiefer. Man sah, wie sie gegen Verzögerungen in der Bewegung der Vorderläufe zu kämpfen hatte. Trotzdem schaffte sie es, einen schweren Stein beiseite zu räumen. Zufrieden legte sie sich hin und wirkte ganz entspannt.
Ich telefonierte mit der Tierklinik, erstattete Bericht und ließ mir zusichern, dass ich das zur Neige gehende Medikament am Freitag abholen lassen könnte.
Mittwoch, 5.7.17: Keine auffälligen Augenbewegungen mehr. Es ging ihr deutlich besser. Sie lief zwar noch ungeschickt, aber meist ohne meine Hilfe in normalem Schritttempo vor mir her. Durst und Wasseraufnahme funktionierten endlich wieder normal. Sie trank verteilt über den Tag mehrmals aus dem Eimer vor dem Haus. Ich füllte ihn immer wieder mit frischem Wasser fast voll, so dass sie ihren Kopf nicht tief senken musste.
Die Metallgittertreppe kraxelte sie jetzt auch ohne meine Hilfe wieder hoch. Hinunter bot ich ihr jedoch durchgehend Anlehnmöglichkeit. Wenn ich die Hunde herein rief und als Belohnung für braves Kommen Trockenfutter auf den Fußboden warf, jagte auch Ballota fleißig Bröckchen und schluckte sogar einige. Wieder ein deutlicher Fortschritt! Trotzdem füllte ich ihr wieder einen Becher aufgeweichten Trockenfutters zwangsweise ein. Zusätzlich zu ihrem Medikament bekam sie jetzt zum ersten Mal auch ein hochdosiertes Vit. B-Nahrungsergänzungsmittel.
Donnerstag, 6.7.17: Ballotas Zustand normalisierte sich weiter. Zum ersten Mal seit fast einer Woche fraß sie selbständig einen halben Becher eingeweichtes Trockenfutter aus dem ihr in bequemer Höhe angereichten Napf. Ich beschloss, ab jetzt auf die Zwangsernährung zu verzichten.
Freitag, 7.7.17: Wer Ballota heute beobachtete, kam nicht mehr darauf, dass sie vor sechs Tagen erst einen Schlaganfall hatte. Sie fraß wieder Brei aus ihrem Napf, zumindest ein wenig, wenn ich ihr den Napf wiederholt in bequemer Höhe vor die Nase hielt. Unser innerhalb von Wildemann verkaufter Colliewelpe “Fox Lions Tjorven” hatte heute seinen zweiten Impftermin. Tjorvens Frauchen brachte mir, wie Dienstag geplant, Ballotas Medikament “Vitofyllin 100 mg” aus der Tierklinik mit. Arabelles Arzneimittelrest hat genau bis heute gereicht. Ein glücklicher Zufall oder göttliche Fügung. Jedenfalls sehr bequem für uns. Ich half Ballota nur noch dadurch beim Fressen, dass ich ihren Napf in für sie angenehmer Höhe vor ihr festhielt.
Samstag, 8.7.17: Heute verblüffte mich Ballota, als sie an einer Bank am Wegrand eine Katze aufscheuchte. Der Jagd-Impuls reichte für drei kräftige Galoppsprünge durch die hohen Kräuter. Steil bergauf blieb sie dann hängen im dichten Aufwuchs und kehrte um. Ich beschloss, demnächst wieder eine Leine mitzunehmen.
Sonntag, 9.7.17: Auf unserer ersten heutigen Gassitour trabte Ballota in einem Tempo vor mir her, dass ich selbst joggen musste. Mir fiel der Vorsatz ein, eine Leine mitzunehmen. Hatte ich natürlich vergessen.
Montag, 10.7.17: Gegen Mittag machte ich mit Ballota einen 20-minütigen Spaziergang, diesmal mit Leine. Sie lief so schön, dass ich plante, sie ab morgen wieder mit den anderen alten Collies des Rudels gemeinsam auszuführen.
Dienstag, 11.7.17: Heute war Ballota wieder ganz normal mit auf unserer Senioren-Runde mit der 12-jährigen Chandra und dem 11-jährigen Drago. Etwas langsamer noch als vor dem Schlaganfall, aber auch an steilen Abschnitten selbständig und kaum noch unsicher. Wir waren über eine Stunde im Bergwald unterwegs. Mit dem Teil-Rudel der jüngeren Collies lief ich die gleiche Strecke wenig später in 35 Minuten. Trotzdem war ich sehr zufrieden.
Sie hat ohne meine Hilfe früh einen halben Becher Welpen-Trockenfutter aus dem Napf gefressen und abends eine volle Portion Brei mit Lachsöl. Ich brauchte den Napf nicht mehr hoch zu halten. Sie kam mir richtig gierig vor, ganz so wie früher.
Mittwoch, 12.7.17: Ballota war schon wieder fast ganz die Alte. Es ist einfacher, zu beschreiben, was nicht ging: Knochenfressen. Sowohl gestern als auch heute testete ich, ob sie so wie immer und wie die anderen auch einen Fleischknochen fressen oder zumindest abnagen wollen würde. Beide Male hat sie mehr Zeit auf den Versuch verwendet, ihn zu verstecken, idealerweise zu vergraben. Schön, wenn das ihr einziges Problem ist!
Donnerstag, 13.7.17: Knochenfressen ging auch wieder. Alles gut.
10. 01.19: Seit über anderthalb Jahren bekommt sie nun täglich Vitofyllin (Wirkstoff: Propentofyllin), längst nur noch eine halbe Tablette früh und eine halbe Tablette abends, also leicht unterdosiert. Anfangs bekam sie jeweils eine dreiviertel Tablette. Außerdem bekommt sie fast täglich ein hochdosiertes Vit. B-Präparat. So lebt sie ganz normal weiter.
03.07.2019: Zwei Jahre lang lebte Ballota mit ihrem Medikament weiter. Im Alter von 15 jahren mussten wir sie, wahrscheinlich wegen Nierenversagen, einschläfern.